Zwei Monate nach der US-Wahl beherrscht die US-Politik einmal mehr die Schlagzeilen, nachdem beide republikanische Senatoren in Stichwahlen um ihre Senatssitze in Georgia eine Niederlage hinnehmen mussten. Der Wahlausgang ist deshalb wichtig, weil Vize-Präsidentin Kamala Harris angesichts der Pattsituation im US-Senat das Zünglein an der Waage sein wird. Die Republikaner haben damit ihre Mehrheit im Oberhaus verloren, gleichzeitig kontrollieren die Demokraten das Repräsentantenhaus. Damit hat der neu gewählte US-Präsident Biden erheblich bessere Chancen, seine Gesetzesvorhaben in die Tat umzusetzen. Das wird sich nicht nur auf der politischen Bühne, sondern auch generell auf den Finanzmärkten auswirken. In diesem kurzen Beitrag erläutern Sahil Mahtani, Stratege im Investment Institute von Ninety One, und Deidre Cooper, Co-Portfoliomanagerin der Global Environment Strategy von Ninety One, was Bidens Präsidentschaft und ein demokratisch dominierter Senat für Investoren bedeuten könnten.
Da die Demokraten nun im Senat und im Repräsentantenhaus das Sagen haben, ist es nahezu sicher, dass die Biden-Administration alles daran setzen wird, 2021 ein umfangreiches Konjunkturpaket mit einer starken Nachhaltigkeitsagenda zu verabschieden. Sobald die Wirtschaft sich Ende 2021 oder Anfang 2022 erholt hat, dürften die Steuern erhöht werden, um diese Vorhaben zu finanzieren. Das Konjunkturprogramm wird sich positiv auf das US-Wachstum und damit auf die Mittelzuflüsse in US-Aktien auswirken. Es wird zudem möglicherweise die Anleiherenditen in Industrieländern kräftig nach oben treiben, was erhebliche Auswirkungen auf andere Anlageklassen hat.
Dass die Demokraten nun in beiden Häusern den Ton angeben, wird den US-Dollar allerdings zunächst belasten, da dies die Risikoprämien für Schwellenländeranleihen drückt, die aufgrund der wechselhaften US-Außenpolitik entstanden sind. Auf mittlere Sicht werden die Konjunkturmaßnahmen in den USA das Wachstum der Weltwirtschaft tendenziell ankurbeln und somit auch Schwellenländerwährungen zugutekommen. Der daraus resultierende Inflationsdruck dürfte unter anderem den Goldpreis stützen.
Auf Sektorebene wird sich die Politik der Demokraten und das Ziel, bis 2050 eine Netto-Null-Emission zu erreichen, voraussichtlich positiv auf Hersteller sauberer Energietechnik und Versorgungsunternehmen auswirken. Der Sektor der fossilen Brennstoffe könnte dagegen zu den Verlierern zählen, je nachdem, welchen Kurs die Regierung Biden letztlich gegenüber diesem einschlägt. „Big Tech“ könnte aufgrund einer verschärften Regulierung das Nachsehen haben. Im Gesundheitswesen, das häufig Gegenstand erbitterter Streits zwischen den beiden Parteien war, könnte es eine Reform geben, um die Kosten zu senken. „Managed-Care“-Organisationen, Generikahersteller und Nicht-US-Pharmaunternehmen könnten von der Politik der Demokraten profitieren. US-Pharmawerte und Anbieter von Gesundheitsdiensten werden dagegen möglicherweise zu den Verlierern zählen.
Die Umweltpolitik der USA wird sich unter Biden deutlich von der seines Vorgängers unterscheiden. So haben die USA für dieses Jahr einen Klimagipfel angekündigt und wollen dem Pariser Klimaabkommen wieder beitreten. Der Klimaplan, den Biden letzten Juli auf seiner Wahlkampftour vorgestellt hat, ist eine Annäherung an den ursprünglichen Plan von Bernie Sanders bzw. Elizabeth Warren. Er sieht eine Netto-Null-Emission bis 2050, 100% kohlenstofffreien Strom bis 2035 und die Verbesserung der Energieeffizienz bei vier Millionen Gebäuden vor. Wahlkampfversprechen sind natürlich keine Realpolitik. Aber die Demokraten haben in dem Ende 2020 verabschiedeten Konjunkturpaket bereits eine kurzzeitige Verlängerung der Steuervergünstigungen für Wind- und Solarenergie durchgesetzt. Mit der hauchdünnen, aber effektiven Mehrheit im Senat wird die Biden-Administration 2021 wahrscheinlich weitere Stimulusmaßnahmen und eine drastische Reduzierung des Kohlenstoffausstoßes beschließen.
Der neue Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, wird voraussichtlich zu einer progressiven Agenda tendieren, zumal er in den Vorwahlen 2022 auf Alexandria Ocasio-Cortez als Gegenspielerin treffen könnte. Insbesondere gehen wir davon aus, dass die Steuervergünstigungen für erneuerbare Energien (die leider die Nachfrage kaum ankurbeln) im Rahmen des Konjunkturpakets verlängert werden und – was noch wichtiger ist – separate Steuervergünstigungen für Energiespeicher eingeführt werden. Dies ist vor allem für die US-Windindustrie wichtig, in der die Steuervorteile für erzeugten Strom vor den Vergünstigungen für Investitionen in Solarenergie auslaufen. Außerdem erhalten die Windstromerzeuger aufgrund der unterschiedlichen Steuervergünstigungen keine Förderung für Stromspeicher, während die Speicherung von Solarenergie steuerbegünstigt ist.
Die Ernennung der Regulierungskommission für den Energiesektor durch die Demokraten dürfte sich genauso positiv auswirken wie die Genehmigung von Offshore-Windparks, die von der Trump-Administration immer wieder hinausgezögert wurde. Ferner könnten die bereits von Obama geplanten Standards für erneuerbare Portfolios in greifbare Nähe rücken. Dementsprechend besteht bei unseren Prognosen für Windkraftanlagen zwischen 2022 und 2025 im Vergleich zum Status quo vor der Wahl ein Aufwärtspotenzial von 100%. Das bedeutet erhebliches Kurspotenzial für führende Windentwickler und ihre Zulieferer, wie etwa die Hersteller von Rotorblättern. Das zusätzliche Aufwärtspotenzial im Solarsektor ist eher begrenzt, da die Wachstumsaussichten ohnehin glänzend sind. Die anvisierten Verbesserungen der Energieeffizienz von Gebäuden werden voraussichtlich in einem Infrastrukturprogramm verankert und dürften Unternehmen, die nachhaltige Lösungen für Heizung, Kühlung und Stromversorgung von Gebäuden anbieten, Aufwind geben.
Wir gehen ferner davon aus, dass die Obergrenze von 200.000 Fahrzeugen pro Autohersteller, für die derzeit eine Förderung von Elektrofahrzeugen in Höhe von 7.500 US-Dollar gewährt wird, aufgehoben und die Emissionsgrenzen verschärft werden. Dadurch erhöht sich unsere Prognose für den Absatz von Elektroautos in den USA ebenfalls um fast 100%. Bislang sind die USA der Markt, für den wir das geringste Wachstum bei Elektroautos erwartet hatten. Das würde den verschiedenen Unternehmen in der Lieferkette für Elektrofahrzeuge, von Batteriekomponenten-Herstellern bis hin zu Lieferanten von Sensoren, Software und Leistungshalbleitern, Rückenwind geben.